Einleitung

Bei der Interpretation des Säure-Basen-Status dient der Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) des Blutes zur Beurteilung respiratorischer Störungen, während die Basenabweichung oder der sogenannte Base Excess (BE) zur Abschätzung der nicht auf einer Störung der Atmung beruhenden Veränderung des Säure-Basen-Haushaltes verwendet wird. Aus technischen, wissenschaftlichen und historischen Gründen sind jedoch unterschiedliche Meß-, Berechnungs- und Interpretationsverfahren im Einsatz. Im Falle der Basenabweichung könnten sich dadurch klinisch relevante Unterschiede ergeben, die entweder auf den verschiedenen Berechnungsmethoden beruhen oder durch die in den BE integrierten Meßwerte verursacht sein könnten.

Ziel vorliegender Untersuchung war es, mögliche Unterschiede beim Erhalt der Basenabweichung zu untersuchen und klinisch einzuordnen.

Begriffsbestimmungen

In diesem Abschnitt werden die im Zusammenhang mit der Basenabweichung verwendeten Begriffe erläutert. Die zur Ermittlung der Basenabweichung verwendete Konzentration des Bikarbonats, der pH-Wert und der Kohlendioxidpartialdruck werden ebenfalls definiert.

Basenabweichung

Das Konzept der Basenabweichung wurde um das Jahr 1960 in Kopenhagen unter dem Begriff des base excess (BE) entwickelt [Siggaard-Andersen, Engel, JØRGENSEN, Astrup, 1960; SINGER, HASTINGS, 1948]. Damit sollte beschrieben werden, wieviel starke Säure oder Base im Falle positiver bzw. negativer Basenabweichung notwendig ist, um eine Körperflüssigkeit unter Standardbedingungen auf einen pH von 7,40 zu titrieren. Angegeben wird dieser Wert in mmol/L. Die Bezeichnung „Konzentration titrierbarer Base“ [DEGEN, MORAN, 1996] wäre der treffendere Begriff. Im deutschen Sprachraum wird gegenwärtig der Terminus Basenabweichung favorisiert [MÜLLER-PLATHE, 1982]. Im englischen Sprachraum hingegen konnte sich die Begriffe „base difference“ [McGING, DONOHOE, 1997] oder „base deviation“ [DEGEN, MORAN, 1996] bisher nicht etablieren. Die Bezeichnung „base deficit“ bei negativen BE-Werten findet sich hingegen häufiger in der Literatur [RUTHERFORD et al., 1992; DAVIS et al., 1994].

Vorliegend wird zumeist die international noch gebräuchliche Abkürzung BE verwendet.

Als Standardbedingungen für die Titration gelten heute ein pCO2 von 40 mmHg (5,33 kPa) und eine Temperatur von 37 °C. Titriert wird auf den pH 7,4. Sofern es sich bei der bezogenen Körperflüssigkeit um Blut handelt ist auch von Bedeutung, bei welcher Sauerstoffsättigung (sO2 [%]) titriert wird. Da die Sauerstoffsättigung in der ursprünglichen Definition nicht festgelegt war, wurde davon ausgegangen, daß die bei Entnahme vorliegende Sättigung beibehalten wird (SIGGAARD-ANDERSEN 1963), was jedoch technisch schwierig ist und den BE atemabhängig macht. In der klinischen Routine erfolgt die Bestimmung des BE nicht mehr per Titration sondern mittels Berechnung. Entgegen den früher verwendeten Nomogrammen sind hierfür unterschiedliche Berechnungsformeln im Einsatz, die im jeweiligen Blutgasanalysator je nach Hersteller und Typ vorprogrammiert sind. Zu den für die Berechnung erforderlichen Meßwerten gehören der pH-Wert, der aktuelle Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) und, je nach Berechnungsmethode, zusätzlich die Hämoglobinkonzentration (Hb) und die O2-Sättigung  des Hämoglobins (sO2). Die Temperatur des Patienten wird für die Korrektur der Gaspartialdrücke und des pH benötigt, wenn sie deutlich von der Temperatur, bei der gemessen wird (heute einheitlich 37 °C), abweicht. Je nach verwendeter Berechnungsgrundlage bezieht sich der erhaltene Wert entweder auf die Situation in Vollblut (BE des Blutes) oder berücksichtigt zusätzlich auch den interstitiellen Flüssigkeitsraum des gesamten Körpers. Die Bezeichnungen in vitro und in vivo sollten vermieden werden, da sie schon im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Oxygenierung des Blutes gebraucht werden.

Basenabweichung des Blutes (BEbl)

Die Basenabweichung des Vollblutes (BEbl) ist ein an einer isolierten Blutprobe bestimmter Laborwert und wird von den Geräteherstellern unterschiedlich bezeichnet (BE [AVL]; BE (B) [Ciba-Corning]; BEb [IL]; BE-B [Nova Biomedical]; cBase(sample), cBase(B), ABE [Radiometer]). Der BEbl soll eine Aussage darüber erlauben, wie sich der pH der betrachteten Blutprobe durch Zugabe starker Säure oder Base in vitro „normalisieren“ läßt, wenn der pCO2 auf Normalwerte eingestellt wird, also die wichtigste von der Atmung abhängige Komponente einer eventuellen Störung labortechnisch beseitigt wird. Mit der heute kaum noch verwendeten Methode der BEbl-Bestimmung durch pH-Messung nach dem Äquilibrieren mit zwei definierten Testgasen nach ASTRUP (1956) ist das BEbl-Ergebnis auch von der Sauerstoffsättigung in der nativen Probe unabhängig, weil die verwendeten Gase konstante Sauerstoffanteile von mindestens 25 % enthalten und somit eine annähernd vollständige O2-Sättigung bei den Messungen besteht. Mit dem Aufkommen integrierter Elektroden zur Messung des pCO2 [STOW, RANDALL, 1954] wurde der BEbl jedoch zunehmend aus einem Nomogramm nach Bestimmung des pH und des pCO2 der unveränderten Blutprobe abgelesen oder errechnet. Das dafür verbreitete Nomogramm wurde von SIGGAARD-ANDERSEN (1963) vorgestellt, berücksichtigt jedoch die aktuelle Sauerstoffsättigung nicht, so daß der damit erhaltene Wert von der Sauerstoffsättigung der Probe abhängig war. THEWS (1967) erweiterte dieses Nomogramm, so daß durch Berücksichtigung der aktuellen Sauerstoffsättigung der Probe ermittelt werden konnte, wie groß der BEbl wäre, wenn das Hämoglobin vollständig mit Sauerstoff gesättigt werden würde. Diese Korrektur für eine zum Meßzeitpunkt unvollständige Sauerstoffsättigung konnte sich jedoch in der klinischen Routine bzw. bei den in modernen Analysatoren programmierten Formeln zur BEbl-Berechnung noch nicht durchsetzen.

Ein Grund dafür scheinen unklare Begriffsdefinitionen und Formelzeichen zu sein, die auch zu falschen Rechenzeichen in Formeln in der Literatur [MÜLLER-PLATHE, 1982] und bei Herstellern von Blutgasanalysatoren (AVL) führten. Dabei wird unter dem BE(ox) (bzw. BA(ox)) oder dem damit synonym verwendeten Begriff in-vitro-Basenabweichung die Basenabweichung unter der Sauerstoffsättigung bei Entnahme verstanden. Der für den Effekt von eventuell vorhandenem ungesättigem Hämoglobin korrigierte Wert wird als BE(act) bzw. in-vivo-Basenabweichung bezeichnet. Da jedoch mit gleicher Berechtigung BE(ox) als „Basenabweichung des vollständig oxygenierten Blutes“, BE(act) als „Basenabweichung bei aktueller Oxygenierung“, „in-vivo-Basenabweichung“ als „Basenabweichung, wie sie gerade im Körper besteht“, und „in-vitro-Basenabweichung“ als „Basenabweichung nach Wiederherstellung von vollständiger Sauerstoffsättigung in vitro“ bezeichnet werden könnte, sollen diese Bezeichnungen vorliegend nicht verwendet werden. Stattdessen wird im Einzelfall angegeben, ob eine Korrektur für Desoxyhämoglobin durchgeführt wurde, sofern die Probe nur unvollständig mit Sauerstoff gesättigt war.

Basenabweichung unter Berücksichtigung der extrazellulären Flüssigkeit (BEecf)

Im Gegensatz zur Basenabweichung des Blutes, die aufgrund experimenteller Messungen mit Blut außerhalb des Körpers definiert wurde, sollen mit dem BEecf Veränderungen des Säure-Basen-Haushaltes im gesamten mit dem Blut in Verbindung stehenden Flüssigkeitsvolumen berücksichtigt werden, in dem die meisten Elektrolyte und Bikarbonat frei diffundieren können. Mit diesem Wert soll demnach der Säuremangel oder -überschuß der gesamten therapeutisch direkt beeinflußbaren Körperflüssigkeit beschrieben werden. Auch für diesen Wert geben die Hersteller unterschiedliche Symbolschreibweisen an (BEecf [AVL, IL]; BE (ecf) [Ciba-Corning]; BE-ECF [Nova Biomedical]; cBase[Ecf], SBE [Radiometer]). Die zu dieser Definition gehörende interstitielle Flüssigkeit weist bei Störungen des Säure-Basen-Haushalts ein anderes Verhalten als das isolierte Blut auf, insbesondere da sie praktisch hämoglobinfrei ist. Das Volumen des Wassers im Interstitium ist etwa viereinhalb mal größer als das Plasmavolumen [DEETJEN, 1990], also bei einem Hämatokrit von 40% etwa 2,7 mal so groß wie das Blutvolumen.

Experimentell wird der BEecf dadurch ermittelt, daß das Blut mit der doppelten Menge seines eigenen Plasmas verdünnt wird [Burnett et al., 1995], also das Hämoglobin auf ein Drittel des Wertes in den Gefäßen reduziert wird. Durch das so gewählte Verhältnis von 1:2 statt 1:2,7 wird berücksichtigt, daß nicht der ganze Extrazellulärraum in raschem Diffusionsgleichgewicht mit dem Blut steht und die Extrazellulärflüssigkeit eine andere Zusammensetzung als das Serum aufweist. Die Pufferkapazität des Hämoglobins in den Blutzellen wird für die Bestimmung des BEecf ebenfalls berücksichtigt, wenn auch in geringerem Maße als beim BEbl. Somit handelt es sich beim BEecf streng genommen nicht um die „Basenabweichung der Extrazellulärflüssigkeit“ sondern um die „Basenabweichung unter Berücksichtigung der interstitiellen Flüssigkeit“. Die Berechnung des BEecf erfolgt bei allen hier untersuchten Analysatoren (siehe Anhang B) ausschließlich aus dem pH und dem pCO2:

Bei den Geräten von Radiometer wird dazu die Formel der Basenabweichung des Blutes verwendet, in die eine konstante Hämoglobinkonzentration von 3 mmol/L als angenommene Hämoglobinkonzentration im gesamten extrazellulären Flüssigkeitsraum eingesetzt wird.

Die anderen Geräte benutzen eine Berechnungsmethode, die auch von der International Federation of Clinical Chemistry empfohlen wird [BURNETT et al., 1995]. Dabei errechnet sich der BEecf  aus der Abweichung des Bikarbonats von einem Normalwert (zwischen 24 und 25 mmol/L) und dem Produkt aus dem sogenannten scheinbaren Pufferwert der Nichtbikarbonat-Puffer in der Extrazellulärflüssigkeit (becf) multipliziert mit der Abweichung des pH von einem Normalwert (7,4). Der Pufferwert wurde durch die Änderungen des Säure-Basen-Haushaltes bei künstlich herbeigeführter Hyperkapnie an gesunden Versuchspersonen ermittelt [BRACKETT et al., 1965; BÖNING et al., 1974; SIGGAARD-ANDERSEN, 1976].

Nach der von AVL verwendeten Berechnungsmethode wird das so erhaltene Ergebnis durch Multiplikation mit einer Konstanten kleiner 1 im Betrag reduziert.

Bikarbonat

Das Bikarbonat ist faktisch der wichtigste Puffer im Blut [MÜLLER-PLATHE, 1982] und sein Wert geht in die Berechnung des BE ein. Das Bikarbonat in biologischen Flüssigkeiten läßt sich näherungsweise nach HENDERSON (1908) und Hasselbalch (1916) aus pH und pCO2 berechnen. Die übliche Einheit der Konzentration cHCO3 ist [mmol/L]. Nichtrespiratorische, metabolische Azidosen führen zu einer Verminderung des Bikarbonats, da es mit den Wasserstoffionen als CO2 abgeatmet wird. Allerdings wird es auch bei „isolierten“ Änderungen des pCO2 immer mitbeeinflußt, weil das CO2 mit Wasser zu Kohlensäure reagieren kann und ein Teil der davon abgegebenen Wasserstoffionen durch die Nicht-Bikarbonat-Puffer des Blutes abgepuffert wird. Somit entsteht „freies“ Bikarbonat. Beispielsweise steigt das Plasma-Bikarbonat im Vollblut in vitro um 7,5 mmol/L, wenn der pCO2 von 20 auf 60 mmHg steigt. Dies muß bei der Interpretation des Bikarbonats entweder vom Arzt mitberücksichtigt werden, wie es SCHWARTZ und RELMAN in Boston fordern (1963), oder es muß eine Maßzahl verwendet werden, die dieser Umwandlung des erhöhten CO2 in HCO3 Rechnung trägt. Eine solche Maßzahl ist das sogenannte Standard Bikarbonat. Zur Bestimmung des Wertes wird das Blut mit einem pCO2 von 40 mmHg und bis zu einer quasi-vollständigen Sauerstoffsättigung äquilibriert, und daraufhin das Bikarbonat bestimmt [Jørgensen, Astrup, 1957]. Zusätzlich zu der Einschränkung, daß dabei, wie beim BEbl, die Puffereigenschaften des Extrazellulärraumes nicht berücksichtigt werden, besteht auch eine Abhängigkeit dieses Wertes vom Hämoglobingehalt der Blutprobe [MÜLLER-PLATHE, 1982]. Die hier vorgestellten Analysatoren (siehe Anhang B) berechnen das Standardbikarbonat näherungsweise aus anderen Parametern unter Beteiligung des BEbl. Als Maßzahl für eine metabolische Störung gibt es gegenüber dem BEecf keine zusätzliche klinische Information und gilt damit als obsolet [SIGGAARD-ANDERSEN, 1995].

pH-Wert

Als pH wird der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenaktivität bezeichnet (eine Zahl ohne Einheit; Sørensen, 1909: „Wasserstoffionenexponent“). Die moderne theoretische Chemie definiert den pH über das chemische Potential der Protonen zwischen einer Meßlösung und Standardpufferlösungen [BATES, 1981]. Physiologische arterielle Werte liegen bei ca. 7,4, venöse Werte ca. 0,03 tiefer [SIGGAARD-ANDERSEN et al., 1988]. Verschiedentlich wird statt des pH auch die Konzentration von „aktivem“ H+ in nmol/L angegeben [CAMPBELL, 1962; NEIBERGER, 1991; WU, 1992; SEVERINGHAUS, 1992].

Kohlendioxidpartialdruck

Der Partialdruck von Kohlendioxid (pCO2) im Blut beeinflußt den Säure-Basen-Status, da das Kohlendioxid (CO2) durch das insbesondere in Erythrozyten vorhandene Enzym Carboanhydrase zusammen mit Wasser praktisch sofort in CO2 umgesetzt wird und somit CO2 mit Kohlensäure in einem Gleichgewicht steht. Der Kohlendioxidpartialdruck im Blut wird über die Atmung geregelt: Vertiefte Atmung senkt den pCO2 in den Alveolen und damit im Blut.

Der pCO2 gilt allgemein als Maßzahl für die respiratorische Komponente des Säure-Basen-Gleichgewichts. Er wird von den hier verwendeten Analysatoren (siehe Anhang B) durch Messung des pH in einer Bikarbonatlösung elektrochemisch bestimmt.