Gründe für die Untersuchung

Der BE ist als Maßzahl für die metabolische Komponente des Säure-Basen-Gleichgewichts weltweit im klinischen Einsatz. Seine Bestimmung erfolgt heute praktisch ausschließlich in automatischen Blutgasanalysatoren durch Berechnung aus den entsprechenden Meßwerten und es ist davon auszugehen, daß viele therapeutische Maßnahmen von den BE-Werten oder ihren akuten Veränderungen abhängig gemacht werden [RAFFIN, 1986].

Eine zusammenfassende Darstellung der zur Zeit verwendeten Berechnungsmethoden mit praktischer Prüfung von aktuellen Analysatoren findet sich in der Literatur bisher nicht. Die Gerätevergleiche sind entweder aus einer Zeit, die wenig Rückschlüsse auf die aktuelle Gerätegeneration mehr zuläßt [HILL, TILSLEY, 1973; WINCKERS et al., 1978; RUBIN et al., 1979; DEVGUN et al., 1983; FLEISHER et al., 1989], oder es wurden nur Geräte eines Herstellers berücksichtigt [SELMAN et al., 1976; GOUGET et al., 1990; GOUGET et al., 1992; LAGIER et al., 1992; ALSTON et al., 1994]. Von SCUDERI et al. wurde 1993 ein Vergleich zwischen 4 Vorgängermodellen der hier vorgestellten Analysatoren veröffentlicht, bei dem jedoch nur der Sauerstoffpartialdruck berücksichtigt wurde. Die Daten der Messungen an Fluorocarbon-Qualitätskontrollösungen durch über 900 bei der American Thoracic Society registrierte Analysatoren wurden auf Geräteunterschiede ausgewertet [HANSEN et al., 1998], allerdings mußte dabei unklar bleiben, ob die festgestellten Geräteunterschiede auf Messungen an Blut übertragbar sind. In keinem dieser Artikel wird wie vorliegend speziell auf die Basenabweichung eingegangen.

Der BEecf ist gegenwärtig die physiologisch am besten begründete Maßzahl für nicht durch Störungen der Atmung bedingte Änderungen des Säure-Basen-Gleichgewichts, die in der klinischen Labordiagnostik verbreitet ist, obwohl die Betrachtungsweise von Störungen des Säure-Basen-Haushalts mit Hilfe einer Maßzahl für metabolische Störungen weiterhin umstritten bleibt [SEVERINGHAUS, 1993]. Allerdings unterscheiden sich die weiterhin neben dem BEecf-Konzept bestehenden Darstellungsweisen nicht wesentlichen von diesem Konzept.

Die dem BE zugrundeliegenden Meßwerte (insbesondere pH und pCO2) müssen bei der Analyse der Ergebnisse auch unabhängig von der BE-Berechnung untersucht werden. Dies ist in der Literatur bisher ebenfalls nicht erfolgt. Hämoglobin, das mit Sauerstoff gesättigt ist, gibt leichter Wasserstoffionen ab als desoxygeniertes Hämoglobin. Diese Wasserstoffionen werden als Bohrprotonen [BOHR, 1904] bezeichnet. Damit hat die Sauerstoffsättigung ebenfalls Einfluß auf den BE, was heute zumeist als Haldane-Effekt bezeichnet wird [CHRISTIANSEN, DOUGLAS, HALDANE, 1914]. Quantitativ handelt es sich dabei unter physiologischen Bedingungen um ca. 0,02 mmol Wasserstoffionen pro Gramm Hämoglobin, was bei einem Hb von 15 g/dL und einer Sauerstoffsättigung von 33 statt 100% zu einer um 2 mmol/L niedrigeren Basenabweichung führt. Daher wurde in der Literatur mehrfach empfohlen, den Oxygenierungsgrad des Blutes bei der Berechnung des BE zur berücksichtigen [SIGGAARD-ANDERSEN, 1963; THEWS, 1967; MÜLLER-PLATHE, 1982]. Eine Berechnungsmethode, die sowohl die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins als auch die Puffereigenschaften des Extrazellulärraumes außerhalb des Blutes berücksichtigt, findet sich jedoch in der Literatur nicht und wurde daher für die vorliegenden Untersuchungen eingeführt. Die Hämoglobinkonzentration (cHb) wurde von drei der vorliegend untersuchten Geräte bestimmt (vgl. Tabelle 6) und konnte bei den anderen Analysatoren zur Berechnung des BEbl vom Benutzer eingegeben werden. Es sollte auch überprüft werden, inwieweit die Berücksichtigung der Hämoglobinkonzentration bei der Bestimmung des BEecf sinnvoll ist. Um präanalytische Fehlerquellen durch Verdünnung der Blutproben erkennen zu können, wurden zusätzlich zur Hämoglobinkonzentration die von den Analysatoren bestimmten Metabolite und Elektrolyte auf Übereinstimmung zwischen der arteriellen und der venösen Probe geprüft.

Die Meßwerte wurden sowohl an gleichzeitig entnommenen arteriellen und venösen Blutproben aus dem klinischen Routinebetrieb als auch an künstlich in einem sogenannten Tonometer (IL 237) mit verschiedenen Gasen äquilibrierten Blutproben bestimmt. Dies ermöglichte sowohl eine Überprüfung der vom BEbl definitionsgemäß geforderten Unabhängigkeit von den Gaspartialdrücken als auch eine Einschätzung der Streuung der Geräte bei Mehrfachbestimmung, der konstanten Meßabweichungen zwischen den Geräten als Hinweis auf systematische Meßfehler und der durch präanalytische Fehler in der klinischen Routine zu erwartenden Differenzen.

Laborwerte sind oft wichtiges Entscheidungskriterium für medizinische Maßnahmen. Dabei spielen in der Regel Schwankungen im „gewohnten Rahmen“ oder konstant zu hohe oder zu niedrige Angaben keine gravierende Rolle, da man mit ihnen rechnet und sich folglich nicht unkritisch auf die Meßergebnisse verläßt. Anders ist es bei sehr seltenen und ungewohnt starken Schwankungen. Sie könnten bei einem Arzt, der gewohnt ist, daß er sich auf die Werte verlassen kann, zu Maßnahmen führen, die unangemessen sind. Praktisch auf den BE bezogen könnte dies folgendes bedeuten: Wenn der maximale Gesamtfehler des BE eines Blutgasanalysators ± 1 mmol/L betragen würde, hätte dies wenig klinische Bedeutung. Bedeutsam wäre hingegen, daß nicht aufgrund eines Meßfehlers in einer vital bedrohlichen Situation hyperventiliert wird, wenn bereits eine metabolische Alkalose vorliegt, die durch eine pCO2-Erhöhung gerade noch kompensiert werden kann. Aus diesen Gründen wurde vorliegend besonderes Augenmerk auf sogenannte „Ausreißer“ gerichtet, deren Ausmaß und Häufigkeit durch die wiederholte Messung derselben Probe an mehreren Analysatoren ermittelt werden konnte. Das Überschreiten von Schwellenwerten muß zur Ermittlung der Notwendigkeit von invasiven Therapiemaßnahmen (z.B. Intubation oder Infusionstherapie), ausreichend präzise festgestellt werden können. Deshalb sollten vorliegend besonders Meßfehler in jenem Bereich betrachtet werden, in dem in der Litertur eine relevante prognostische und therapieentscheidende Bedeutung des BE festgestellt wurde.